Online Recruiting ist die moderne Art der Stellenausschreibung
Nicht nur Personalverantwortliche beschäftigen sich heute mit dem Problem, dass gute Mitarbeiter nur noch schwer zu finden sind – Fachpersonalmangel ist in diesen Tagen zum Gesellschaftsproblem geworden, das sich auf alle Ebenen eines Unternehmens auswirkt. So leidet nicht nur die Geschäftsleitung darunter, die mit fallenden Kennzahlen zu Umsätzen und Gewinnen die wirtschaftliche Zukunft des Unternehmens zu steuern hat – auch Personaler können ihrer Aufgabe zunehmend schlechter gerecht werden, und nicht zuletzt trägt die Belegschaft eine zunehmend schwere Last und muss fehlende Arbeitskraft mit Überstunden kompensieren.
Höchste Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und die Methodik beim Suchen von Mitarbeitern von Grund auf neu zu formieren: die Lösung heißt „Online Recruiting“ oder auch „Digital Recruiting“, ein Komplex von Vorgehensweisen und Maßnahmen, der zum Ziel hat, von der Suche und Ansprache potenzieller Kandidaten über die Bewerbung und deren Abwicklung bis hin zu Bewerbungsgespräch und letztlich die Einstellung ausschließlich digitale Wege einzuschlagen und dabei auf starre Konstrukte und Medien konventioneller Recruiting-Methoden zu verzichten.
Früher waren es Zeitungen und Magazine, heute ist es Online Recruiting!
Als sich Mitte der 1990er Jahre mehr und mehr abzeichnete, dass klassische Tageszeitungen, die ihre höchsten Verkaufszahlen in den 1980er Jahren feierten, zunehmend an Popularität verloren, wurde vielen klar, dass auch Branchen, die damals von solchen Medien abhängig waren, umdenken und dem digitalen Fortschritt Rechnung tragen mussten. Hierzu zählte auch das Personalwesen oder engl. Human Resource Management (abgk. HRM), war es für diese Branche doch damals gängiger Usus, Stellenanzeigen und Stellenausschreibungen primär über solche Medien auszuspielen. Damals dachte wohl noch keiner ernsthaft über Online Recruiting nach.
Als sich die Menschen mehr und mehr zum Internet orientierten und auch in Sachen Nachrichten zunehmend auf Online-Inhalte umstiegen, verloren Printmedien langsam aber sicher ihre Daseinsberechtigung. Am stärksten waren hiervon zunächst die Tageszeitungen betroffen, dann die wöchentlich und monatlich, schließlich aber auch die quartalsweise und halbjährlich oder jährlich erscheinenden Journale und Fachmagazine. Im Zuge des Rückgangs zeichnete sich deutlich ab, dass das schwindende Interesse der Leserschaft auch die Zielgruppe potenzieller Bewerber, die darin enthalten waren, schrumpfen ließ. Gleichzeitig stiegen die Anzeigenpreise an, da die Verlage ihre Kosten bei stetig sinkenden Umsätzen kompensieren mussten – die Abwärtsspirale der klassischen Stellenanzeigen in Printmedien war nicht mehr abzuwenden.
Job-Portale & Co. – zwar online, aber nicht wirklich „Online Recruiting“
Schließlich formierte sich im Internet ein neuer Trend, an den sich Personaler aller Branchen wie an einen Rettungsring klammerten und einen Großteil ihrer Budgets in dieses Konzept umleiteten – die große Stunde der Online-Job-Portale war gekommen! In gewohnter Manier wie zu Printmedienzeiten konnte man hier seine Stellenanzeigen gegen anfangs günstige, jedoch schnell steigende Preise platzieren und war froh, wieder den einen oder anderen Bewerber über solche Maßnahmen generieren zu können.
Seit damals sind viele Jahre ins Land gezogen, „Online Recruiting“ hat sich inzwischen als gängiger Begriff eingebürgert, die meisten Arbeitssuchenden haben verinnerlicht, dass man Jobs über das Internet sucht. Inhaltlich hat sich an der Vorgehensweise jedoch eigentlich nichts verändert: man schaltet nach wie vor gegen teils horrende Gebühren Anzeigen, lehnt sich zurück und wartet, dass sich jemand bewirbt, und das auf einem Arbeitsmarkt, der sich um 180 Grad gedreht hat, so dass sich heute nicht mehr 10 Bewerber um eine Stelle, sondern 10 Unternehmen um einen Bewerber streiten – eine offensichtlich unverantwortlich fahrlässige Taktik!
Online Recruiting heißt „Digital Recruiting“, nicht „Recruiting on digital“!
Obwohl das Ende der klassischen Zeitungsanzeigen nun bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegt, hat das Umdenken bei vielen Unternehmen noch immer nicht eingesetzt. Getreu dem Motto „Post & Pray“, also „schalten und hoffen“ gehen Personaler weiterhin davon aus, dass es damit getan ist, eine Anzeige zu schalten und abzuwarten, dass die Bewerber auf sie zukommen. Zwar kommen so kaum nennenswerte Bewerberzahlen zustande, das schiebt man dann aber auf die angespannte Marktsituation und dass es im Augenblick schlichtweg kein geeignetes Personal gäbe.
Aber wohin sind alle diese Menschen verschwunden? Haben sie seit Ende der 1990er Jahre das Land verlassen oder gibt es einfach 10mal so viele Unternehmen wie früher? Hat vielleicht der demografische Wandel und die sich umkehrende Alterspyramide, von denen immer wieder die Rede ist, damit zu tun, dass sich niemand mehr bewirbt?
Die klare Antwort: Nein, die Bewerber sind weiterhin da, und es gibt auch genug davon, man erreicht sie nur nicht auf diese Weise!
Die Suche ist das eine, aber dann gehts beim Online Recruiting erst richtig los!
Selbst für die Unternehmen, die ihre Anzeigen längst bei Job-Portalen und den in diesem Zusammenhang stets beliebter werdenden Multi-Posting-Diensten schalten (man schaltet eine Anzeige, die dann automatisch auf vielen anderen Portalen gleichzeitig ausgespielt wird) oder die ihren Kandidaten eine Bewerbung per E-Mail anbieten, herrschen noch immer die alten Anforderungen an eine qualifizierte Bewerbung. Schickt der Bewerber nicht zumindest ein persönliches Anschreiben, einen lückenlosen Lebenslauf (das hochgelobte Curriculum vitae, abgk. CV) und eine mehr oder minder umfangreiche Sammlung an Zeugnissen, Zertifikaten und Arbeitsproben, landet er bei konservativen Personalern direkt im Papierkorb, im besten Fall bekommt er ein Standardschreiben als Antwort, dass man sich leider für jmd. anderes entschieden hat.
Diese Ansichten sind Schnee von gestern, und das aus gutem Grund! Wem nützt es, zu wissen, welche Grundschule ein Bewerber besucht hat? Welche Aussagekraft hat eine Zeichnung aus dem ersten Lehrjahr für das Maß seiner Kreativität? In wie vielen Berufen ist es wirklich wichtig, zu wissen, dass der Bewerber in der Lage ist, einen formell korrekt angeordneten Brief aufzusetzen?
Wenn Online-Bewerbungen über spezielle Formulare mit PDF-Upload oder sogar über Facebook und sogar WhatsApp zunehmend selbstverständlich werden, müssen sich auch die Anforderungen an Bewerbungen ändern. Hier sollte man sich auf die wesentlichen Kontakt- und Karrieredaten beschränken, die für die Einstellung wirklich wichtig sind. Sollten im Einzelfall konkrete fachspezifische Angaben erforderlich sein, so kann man diese auch im direkten Dialog erfragen. Prozesse müssen digital und so kurz und kompakt wie möglich gestaltet sein, damit sie potenzielle Bewerber nicht abschrecken. Damit trotzdem ein gewisses Qualitätslevel erhalten werden kann, wendet man Konzepte wie Lead Scoring an, die es ermöglichen, auch mit wenig Daten vorab eine Qualifizierung vorzunehmen und gute von weniger guten Bewerbungen zu unterscheiden.
Von Online Recruiting spricht man erst, wenn der komplette Bewerbungsprozess online passiert
Neben LandingPages und mehrseitigen Bewerbungsformularen kommen auch die immer beliebter werdenden ChatBots zum Einsatz, die dem Kandidaten als „digitaler Concierge“ rund um die Uhr zur Verfügung stehen und in einem weitestgehend natürlichen Gespräch Fragen beantworten, Tipps geben und relevante Daten erfassen. Die Kommunikation per E-Mail oder Telefon ist natürlich nicht passé, aber warum lange E-Mails formulieren, die keine Fragen offenlassen, wenn man den Bewerber auch direkt per Chat kontaktieren kann? Bewerbungsgespräche per Videokonferenz sparen Zeit und Aufwand, ermöglichen mitunter sogar mehr Termine an einem Tag als auf die herkömmliche Weise – und das ganz ohne Corona-Risiko für alle Beteiligten!
Die sog. „Candidate Experience“, also die Nutzererfahrung im Zuge des Bewerbungsprozesses ist hier die Kennzahl, die über Sieg oder Niederlage entscheidet, denn positiv beeindruckte Bewerber wirken sich nicht zuletzt positiv aufs Unternehmens-Image (Stichwort „Employer Branding“, also die „Arbeitgebermarke“) aus. Findet schließlich der komplette Prozess für den Bewerber online statt, und können auch die internen Prozesse über digitale Tools und Programme abgebildet werden, dann kann man wirklich von Online Recruiting sprechen.